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Leitartikel: Juni 2020

"Mathematik vergleicht die verschiedensten Phänomene und deckt jene verborgenen Analogien auf, die sie einen"
Jean Baptiste Joseph Fourier

Nun ist MatOnline Nummer Zwei also online gegangen, und als echter Mathematiker freue ich mich sehr darüber, dass wir die Anzahl der Veröffentlichungen um 100 % steigern konnten.  Ich hoffe, dass diese zweite Ausgabe von MatOnline ebenso positiv aufgenommen wird wie die erste. MatOnline wird dazu beitragen, Mathematik sichtbar zu machen und ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass sie einfach überall zum Einsatz kommt – als wichtiges Hilfsmittel oder Sprache in vielen Bereichen: Naturwissenschaft, Ingenieurswesen, Wirtschaft, Sozialwissenschaft und vielen mehr. Eben dieses Potenzial der Mathematik ist oft das stärkste Argument dafür, dass dieses Fach in der Schule einen so zentralen Platz einnimmt. Dabei stellt die Mathematik für viele Schüler ein echtes Problem dar, denn tendenziell gelingt es dem, was da in der Schule vermittelt wird, nur in sehr geringem Maße, an die verschiedenen Anwendungsbereiche der Praxis anzuknüpfen. So wird die Mathematik als etwas sehr Abstraktes empfunden und entspricht tatsächlich dem Bild, dass der berühmte Philosoph und Mathematiker Bertrand Russell von ihr zeichnete: eine Wissenschaft, bei der man niemals weiß, wovon man spricht. Das wiederum führt zum so genannten Relevanzparadoxon – dem Missverhältnis zwischen der oftmals verborgenen Bedeutung, die die Mathematik für das Funktionieren unserer Gesellschaft und unserer Kultur hat, und der Tatsache, dass sie gleichzeitig von vielen Menschen als etwas Irrelevantes und Abstraktes wahrgenommen wird. Die folgende Anekdote zeigt sehr gut, wie mehrheitlich über Mathematik gedacht wird: Zwei Männer sind mit einem Heißluftballon unterwegs und haben die Orientierung verloren. Plötzlich entdecken sie direkt unter ihrem Ballon einen Mann auf einem Kornfeld und beschließen, sich nach unten sinken zu lassen und den Mann zu fragen, wo sie sich befinden. Gesagt, getan. Der Mann im Kornfeld überlegt eine ganze Weile und antwortet dann: „Sie befinden sich in einem Heißluftballon, genau 1 Meter über einem Kornfeld.“ Die Männer bedanken sich für die Auskunft und steigen mit dem Heißluftballon wieder auf. Dort sagte der eine zum anderen: „Du, ich glaube, der Mann, den wir da nach dem Weg gefragt haben, ist Mathematiker. Er hat sehr lange über seine Antwort nachgedacht. Und letztendlich war sie kurz, präzise und korrekt, aber zu absolut nichts zu gebrauchen.“ 

Unser Anliegen ist es, mit MatOnline einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, dass das Relevanzparadoxon der Mathematik durchbrochen wird, und zwar sowohl im Hinblick auf das Unterrichtsfach als auch im alltäglichen Leben, dem Beruf und dem gesellschaftlichen und kulturellen Diskurs. Wir möchten das Bild aufzeigen und weitergeben, das der niederländische Mathematiker und Mathematikdidaktiker Hans Freudenthal von dieser Materie hatte: „Mathematik ist gesunder Menschenverstand und beschäftigt sich damit, Dinge zu mathematisieren. Unsere Umwelt steckt voller Phänomene und Ideen, die danach schreien, mathematisch betrachtet zu werden.“ Etwas mathematisch zu betrachten bedeutet, die Hilfsmittel der Mathematik dazu zu nutzen, unsere Umwelt zu beschreiben, zu untersuchen, zu verstehen und zu verändern. Wenn man in eine mathematischen Herangehensweise eintauchen möchte, empfiehlt sich der Besuch eines Kindergartens. Denn Kinder beziffern Dinge und untersuchen ihre Umwelt auf Muster.

Die Mathematik schenkt uns eine ganze Reihe von Hilfsmitteln für eine mathematische Betrachtungsweise. Am bekanntesten sind dabei wohl Zahlen, Gleichungen und Graphen. Diese Hilfsmittel geben uns die Möglichkeit, Zusammenhänge, Muster und Strukturen zu beschreiben und uns auch das zu erschließen, was nicht direkt sichtbar ist. Die Natur und die Gesellschaft haben sich auf der Mikro- und der Makroebene auf eine Weise organisiert, die eine verblüffende strukturelle Stabilität, Vielfalt und Komplexität aufweist – und die sich mit Hilfe der Mathematik relativ einfach ausdrücken lässt. Genau das möchten wir mit MatOnline verdeutlichen, indem wir die Welt in Zahlen, Gleichungen und Graphen erfassen und Themen aufgreifen, die zeigen, inwiefern uns die Mathematik Einblicke in komplexe Phänomene verschaffen kann. So haben wir als Thema für diese Ausgabe von MatOnline die Volksabstimmung des Jahres 1920 zur deutsch-dänischen Grenzfrage gewählt, an der wir unter anderem betrachten werden, wie uns die Mathematik einen Blick auf die Schwierigkeiten eröffnet, die der Wunsch nach einer gerechten Wahl mit sich bringen kann. Und wir wenden die Mathematik auf die leider immer noch aktuelle Covid-19-Pandemie an.

Viel Vergnügen mit der zweiten Ausgabe von MatOnline.

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